Gangstörung

Zuletzt aktualisiert: 31.07.2024 | Lesedauer: ca. 9 Min.

Bei einer Gangstörung ist der automatisierte, reibungslose und harmonische Ablauf von Gehbewegungen beeinträchtigt. Dabei kann entweder das Gangmuster oder die Ganggeschwindigkeit oder beides gleichzeitig betroffen sein. Die Ausprägungen reichen von leicht bis stark eingeschränkter Bewegungsfähigkeit; aber auch völlige Immobilität ist möglich. Die Gangstörung ist keine Krankheit für sich, sondern das Symptom einer Erkrankung oder einer krankhaften Veränderung im Körper.

Wie zeigt sich eine Gangstörung?

Eine Beeinträchtigung von Gehbewegungen kann sich auf vielerlei Arten äußern. Typisch sind beispielsweise:

  • Schlurfen
  • Nachziehen eines Beins
  • Hinken
  • unzureichende Fußhebung, die Zehen schleifen über den Boden
  • kleine Trippelschritte
  • fehlendes Abrollen der Fußsohlen 
  • fehlende Kniebeugung
  • fehlende Hüftstreckung und Aufrichtung
  • fehlendes Mitschwingen der Arme
  • asymmetrische Bewegungen
  • die Ganggeschwindigkeit ist geringer als 1 Meter pro Sekunde

Durch die Einschränkungen können sich zusätzlich Schonhaltungen entwickeln, wie das Hochziehen und Anspannen der Schultern, das Verdrehen oder Beugen des Oberkörpers. Dies führt im weiteren Verlauf zu Fehlstellungen am Skelett.

Wodurch entsteht eine Gangstörung?

Mediziner teilen die Ursachen in vier Bereiche auf:

Orthopädische Ursachen

Krankhafte Veränderungen von Knochen, Sehnen, Bändern oder Gelenken durch Entzündungen, Verletzungen oder Erkrankungen können eine Gangstörung auslösen.

Häufig zugrunde liegende Krankheiten sind:

  • Arthrose
    Sie verursacht durch jahrelange Überlastung von Knochen und Knorpeln eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung und bei starker Ausprägung auch eine Deformierung der Gelenke (z. B. am Kniegelenk oder am Hüftgelenk ).
  • Arthritis
    Die entzündliche Erkrankung der Gelenke entsteht oft im Rahmen von rheumatologischen Krankheiten , sie kann aber auch durch Infektionen ausgelöst werden. Sie führt zur progredienten Zerstörung der Gelenkstrukturen und Funktionseinschränkungen bis hin zur Fehlstellung und Versteifung.
  • Versteifung von Gelenken
    Die Versteifung (Ankylose) kommt bei Morbus Bechterew vor, sie wird an den großen Gelenken (meist Knie) aber auch aus therapeutischen Gründen operativ bei fortgeschrittenen Gelenksveränderungen vorgenommen (Arthrodese).
  • Bandscheibenvorfall
    Durch starke Schmerzen oder Kraftverlust beim Laufen bildet sich eine Schonhaltung aus, welche zu Abweichungen vom normalen Gangmuster führt.

Neurologische Ursachen

Hier liegen Erkrankungen, Veränderungen oder Verletzungen im Nervensystem vor, welche für die Störung verantwortlich sind.

Zu den häufigsten neurologischen Ursachen gehören:

  • Morbus Parkinson
    Typisch ist ein kleinschrittiger Gang (Trippelschritte) mit nach vorne gebeugtem Oberkörper. Es werden mehrere Wendeschritte benötigt und es besteht eine sogenannten posturale Instabilität, also eine eingeschränkte Standsicherheit.
  • Normaldruckhydrozephalus
    Eine Erweiterung der inneren Hirnwasserräume (Liquor) im Gehirn geht mit der klassischen Trias aus Demenzentwicklung, Gangstörung und Harninkontinenz einher, lässt sich durch einfaches Ablassen von 40ml Hirnwasser feststellen und dauerhaft durch einen Shunt operative behandeln.
  • Multiple Sklerose
    Unsicherer Gang aufgrund von Gleichgewichtsstörungen oder Lähmungen.
  • Polyneuropathie
    Die Polyneuropathie schränkt das Gefühl für den Untergrund, auf dem gelaufen wird, stark ein, kann zusätzlich sehr schmerzhaft sein und ist oft symmetrisch ausgebildet.
  • Fußheberparese
    Die Fußspitze hängt beim Laufen nach unten, dadurch muss der Fuß extrem hoch angehoben werden (Storchengang). Sie kommt vor bei Schäden des Wadenbeinnervs (Nervus peroneus), bei Verletzungen oder Operationen am Knie, der Hüfte oder bei Wirbelsäulenverletzungen. Sie ist meist einseitig.
  • Wernicke-Enzephalopathie
    Neben kognitiven Störungen findet sich oft ein breitbeiniger, unsicherer Gang, die Koordination ist gestört.
  • Schlaganfall
    Einseitige Beeinträchtigung der Bewegungsabläufe, unsicherer Gang mit Gleichgewichtsstörungen.
  • Vitaminmangel (Avitaminose) 
    Missempfindungen in Armen und Beinen verhindern ein normales Gangbild. Im Alter sind häufig ein Vitamin B12 und/oder Folsäuremangel ursächlich.
  • Tumor oder Verletzung im Gehirn oder im Rückenmark
    Sind Nerven betroffen, die für die Motorik zuständig sind, entstehen Abweichungen vom gesunden Gangmuster.
  • Innenohrschädigung
    Ist das sich im Innenohr befindliche Gleichgewichtsorgan durch Medikamente, Entzündungen oder krankhafte Veränderungen beschädigt, kann es zu Schwindel und Gleichgewichtsstörungen kommen, die das Gangbild beeinflussen.

Psychogene Ursachen

Nicht körperliche Störungen, sondern psychische Beeinträchtigungen sind die Auslöser. Als typische Beispiele gelten:

In der Regel liegen mehrere Ursachen gemeinsam vor. Nur äußerst selten lässt sich ein einziger Grund für die Gangstörung verantwortlich machen. Meist vermischen sich die Auslöser und man spricht von multifaktorieller Ursache.

Zwei Beispiele für ein multifaktorielles Krankheitsgeschehen bei Gangstörungen:

  • Eine Gangstörung bei Morbus Parkinson ist neurologisch bedingt, sie wird sich aber auch durch reduzierte Beweglichkeit und durch Angst vor einem Sturz manifestieren.
  • Im Alter führen häufig Ängste zu einem vorsichtigen und übermäßig langsamen Gang, jedoch bestehen oft gleichzeitig orthopädische und/oder neurologische Einschränkungen.

Geriatrietypische Ursachen

  • Sarkopenie und Frailty
    Sarkopenie beschreibt den Verlust an Muskelmasse und Kraft im höheren Lebensalter. Es kommt zu einer deutlichen Verlangsamung des Gangbildes, breitbeinigem und kleinschrittigen Gangbild und erhöhter Sturzneigung. Das Gangbild verliert an Flüssigkeit.
  • Demenzen
    Im Rahmen einer Demenzentwicklung ist eine Bewegungseinschränkung im Verlauf meist vorhanden. Messbar wird sie zunächst durch das Phänomen „stops walking when talking“, also die Fähigkeit, gleichzeitig zu laufen und zu sprechen. Die Demenz ist ein unabhängiger Sturzrisikofaktor und führt sehr häufig zu Stürzen.
  • Medikamente
    Viele Medikamente haben sogenannte anticholinerge oder zentralnervöse Nebenwirkungen und können neben der normalen Denkfähigkeit, Aufmerksamkeit, Miktion und Wirkungen auf den Magen-Darmtrakt auch den Gang negativ beeinflussen.

Wie kann der Arzt eine Gangstörung feststellen?

Die Gangstörung stellt der Arzt zunächst durch die Beobachtung des Gangbildes fest.

In einem Gespräch klärt er Fragen wie:

  • Wie lange besteht die Störung?
  • Ist sie plötzlich oder allmählich aufgetreten?
  • Ist sie dauerhaft oder kommt sie nur manchmal vor?
  • Verursacht das Gehen Schmerzen?
  • Gibt es Vorerkrankungen?
  • Werden Medikamente eingenommen?
  • Gibt es noch andere Beschwerden?

Das umfassende geriatrische Assessment ist in der Lage, die geriatrischen Problembereiche zu analysieren und in ihrer Ausprägung zu quantifizieren. Es besteht aus verschiedenen Testverfahren in den Bereichen

  • Selbstversorgungskompetenz,
  • Motilität und Mobilität,
  • Kognition,
  • Emotion und
  • Sozialsituation.

Durch eine körperliche Untersuchung, eine Blutuntersuchung, Seh- und Hörtests erhält der Arzt weitere Erkenntnisse.

Folgende apparative Untersuchungen können die Diagnosefindung unterstützen:

  • Computertomografie (CT)
  • Magnetresonanztomografie (MRT)
  • Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (ENG)
  • Messung der Hirnströme (EEG)

Je nachdem ob der Arzt vorwiegend geriatrische, neurologische oder orthopädische Ursachen vermutet, wird er den Patienten zum jeweiligen Facharzt überweisen. Sollte er von psychogenen oder kognitiven Gründen ausgehen, wird er die Beratung durch einen Psychologen oder Psychotherapeuten empfehlen.

In manchen Fachkliniken, spezialisierten Praxen und Rehakliniken können mit einer computergestützten Ganganalyse die veränderten Gangmuster, und wie weit sie von der Norm abweichen, exakt erfasst werden.

Ergotherapie und Physiotherapie bei 2 älteren Patient*innen mit einer Gangstörung.

Wie wird eine Gangstörung behandelt?

In erster Linie wird die Therapie auf die zugrunde liegende Krankheit ausgerichtet, da ein von der Norm abweichendes Gangmuster nur ein Symptom ist. Daher kann die Behandlung erst stattfinden, wenn die Ursachen geklärt sind. Sind die Auslöser reversibel, wie zum Beispiel bei der Avitaminose, besteht die Therapie in der Gabe von Vitaminen. Bei orthopädischen oder neurologischen Ursachen können je nach vorliegender Krankheit ein operativer Eingriff, Medikamente, sowie Physio- oder Ergotherapie helfen, ein Fortschreiten der Störung aufzuhalten. Auch eine Verbesserung der Ernährung kann die Situation positiv beeinflussen.

Medikamente

Die Dosierung von Medikamenten wird bestmöglich eingestellt und ihre Wirkung durch Tests überprüft. Ziel ist immer: so wenig wie möglich, so viel wie nötig.

Begleitende Therapien

Ergotherapie und Physiotherapie unterstützen den Patienten, seinen Alltag zu meistern und trotz bestehender Einschränkungen sich so viel wie möglich an Selbstständigkeit zu erhalten. Der Gang wird mit verschiedenen Trainingsmaßnahmen geschult.

Sporttherapie stärkt zusätzlich die Muskulatur, um bestehende Schwächen auszugleichen und das Gangbild zu verbessern.

Psychotherapie

Psychologen unterstützen den Patienten bei psychischer Belastung durch Erkrankungen und durch einschneidende Lebensereignisse.

Information und Beratung

Der Patient wird über die Hintergründe seiner Erkrankung und deren Symptome informiert. Er lernt, mit der Krankheit umzugehen, und erfährt, wie er selbst seine Gesundheit stärken kann. Auch Angehörige können dieses Beratungsangebot in Anspruch nehmen.

Reha nach einer Gangstörung

Die Reha orientiert sich ebenfalls an der auslösenden Erkrankung. Die Einrichtungen bieten umfassende Maßnahmen aus den Fachbereichen Geriatrie, Orthopädie, Neurologie, Psychologie, Physio- und Ergotherapie, Massagen, Physikalische Therapie und Bewegungs- und Sporttherapie.

Prognose

Die Prognose ist von der Ursache der Gangstörung abhängig. Ist die Ursache gut behandelbar, wie beim Vitaminmangel, normalisiert sich auch das Gangbild recht schnell. Bei Erkrankungen, die nicht heilbar sind, wie Morbus Parkinson oder Multiple Sklerose, kann sich die medikamentöse Linderung der Symptome auch positiv auf das Gangbild ausüben. Da diese Krankheiten aber chronisch fortschreitend sind, hat die dadurch verursachte Gangstörung eher eine schlechtere Prognose, der Verlauf kann aber durch kontinuierliche Therapie aufgehalten oder verlangsamt werden.

Portrait von Dr. med. Thomas Zeile
Facharzt für Innere Medizin

Chefarzt der Geriatrischen Rehabilitation