MBOR: Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation

Zuletzt aktualisiert: 05.12.2024 | Lesedauer: ca. 8 Min.

Wofür steht die Abkürzung MBOR?

Die Abkürzung MBOR steht für „Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation“. Es handelt sich um ein Programm, das in allen modernen Rehabilitationskliniken durchgeführt wird. 

Chronische Erkrankungen können zu beruflichen Problemen führen. Diese Probleme müssen frühzeitig identifiziert und bearbeitet werden. Nur so kann verhindert werden, dass Patient:innen in die Lage geraten, nicht mehr ihrem Beruf nachgehen zu können und erwerbsunfähig werden. 

Die Aufgabe einer Rehabilitation ist somit nicht nur, den Gesundheitszustand zu verbessern, sondern auch, die Erwerbsfähigkeit der Patient:innen zu erhalten, die sonst eine Erwerbsminderungsrente beziehen müssten.

Zweck einer MBOR

Das Ziel der MBOR ist der Erhalt der Erwerbsfähigkeit. Der Beruf und berufsbezogene Probleme werden in der Planung der Rehabilitation stark berücksichtigt. Vor der Einführung der MBOR orientierten sich die Anwendungen nur an den funktionellen Einschränkungen der Patient:innen. Für die orthopädische und die rheumatologische Rehabilitation bedeutet das, dass muskuläre Ungleichgewichte und Probleme der Körperstatik identifiziert werden. 

Durch gezielte Anwendungen werden abgeschwächte Muskeln trainiert und verkürzte Muskeln gedehnt. In der MBOR werden die Anwendungen nicht nur nach diesen funktionellen Gesichtspunkten ausgewählt, sondern insbesondere auch nach den Anforderungen im Beruf.

Konkret bedeutet dies, dass bei einem Büroangestellten immer die Nacken- und Schultermuskulatur trainiert wird, weil durch die Tätigkeit am PC das Risiko von Haltungsproblemen in diesem Bereich sehr hoch ist. 

Patient:innen, die in der Alten- und Krankenpflege arbeiten, haben eine besonders hohe Beanspruchung der Lendenwirbelsäule. Patient:innen, die in einer Bäckerei arbeiten, müssen oft Backwaren über den Kopf heben und beanspruchen so ihre Schultern. Es ergibt also Sinn, die Bereiche, die durch den Beruf besonders beansprucht werden, stark in den therapeutischen Fokus zu nehmen. 

Auswahl von Patient:innen für eine MBOR

Vor einer Rehabilitation erhalten die Patient:innen einen Fragebogen. Hiermit wird erfasst, ob berufliche Probleme bestehen. Solche Probleme können körperlicher und psychischer Natur sein. Anhand des Fragebogens wird bereits vor der Rehabilitation eine erste (vorläufige) Einschätzung getroffen, ob eine relevante berufliche Problematik und somit die Zuordnung zur MBOR besteht oder nicht. Im Rahmen der ärztlichen Aufnahme wird diese nochmal überprüft.

Zusammensetzung des MBOR-Behandlungsteam

In der Rehabilitation arbeiten die verschiedenen Berufsgruppen eng zusammen und bilden das MBOR-Team: Ärzt:innen, Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen, Physiotherapeut:innen und Ergotherapeut:innen. Jede dieser Berufsgruppen hat im Rahmen der MBOR eine spezifische Aufgabe und wirkt an dem übergeordneten Ziel des Erhalts der Erwerbsfähigkeit mit.

  • Ärzt:innen/Sozialmediziner:innen
    Die Aufgabe der Ärzt:innen und insbesondere der Ärzt:innen mit sozialmedizinischer Qualifikation besteht darin, die krankheitsbedingten körperlichen und psychischen Einschränkungen eines Patient:in zu erfassen. Diese Einschränkungen werden in Relation zu der bisherigen Arbeit gesetzt. Es stellt sich konkret die Frage, ob die Patient:in noch in der Lage ist, die bisherige Arbeit weiterzuführen oder nicht. Es wird geprüft, ob die Erwerbsfähigkeit durch Maßnahmen - wie z.B. eine ergonomische Ausstattung des Arbeitsplatzes, eine innerbetriebliche Umsetzung oder Qualifikationsmaßnahmen - erhalten werden kann. Auf Basis der ärztlichen Begutachtung entscheidet die Rentenversicherung, ob Fördermaßnahmen bewilligt werden oder ob eine Erwerbsminderungsrente indiziert ist. Dabei ist das Ziel immer, die Erwerbsfähigkeit da, wo es möglich ist, zu erhalten und der Patient:in zu helfen, im Beruf zu verbleiben.
  • Sozialarbeiter:innen
    Die Sozialarbeiter:innen ermitteln, welche Ausbildungen die Patient:innen im Erwerbsleben durchgeführt haben, wie viele Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgetreten sind und ob ein Rentenantrag gestellt wurde. Sozialarbeiter haben besonders fundierte Kenntnisse in Bezug auf die Sozialgesetzgebung. Sie können so die Patient:innen beraten, welche finanziellen Leistungen ihnen zustehen. Dieses kann z.B. die Bezugsdauer des Krankengeldes oder des Arbeitslosengeldes sein. Außerdem erhalten die Patient:innen Informationen zu beruflichen Fördermaßnahmen (z.B. einer Umschulung). Eine stufenweise Wiedereingliederung wird vom Sozialdienst mit dem Arbeitgeber abgestimmt.
  • Psycholog:innen
    Viele Patient:innen mit chronischen körperlichen Erkrankungen entwickeln psychische Probleme, umgekehrt können psychische Probleme körperliche Symptome verstärken. Aufgabe der Psycholog:innen im MBOR-Team ist es, insbesondere die psychischen Probleme zu identifizieren, die Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit haben. Durch gezielte Anwendungen erlernen die Patient:innen einen besseren Umgang mit beruflichem Stress. Die Patient:innen, die schon lange arbeitsunfähig sind erarbeiten neue berufliche Perspektiven.
  • Physiotherapeut:innen
    Die Anwendungen in der Physiotherapie orientieren sich stark an den beruflichen Beanspruchungen. Neben der Therapie haben die Anwendungen auch einen diagnostischen Hintergrund. Die Patient:innen und Therapeut:innen simulieren an Trainingsgeräten berufliche Tätigkeiten. Dabei testen sie gemeinsam, ob diese Aspekte der Arbeit wieder möglich sind. Es kann so gelingen, den Patient:innen wieder Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu geben.
  • Ergotherapeut:innen

    Die Ergonomie auf der Arbeit ist ein wichtiger Bestandteil der Ergotherapie. An speziell ausgestatteten Musterarbeitsplätzen werden die Abläufe des Berufes geübt. Diese Musterarbeitsplätze können z.B. ein Pflegebett oder ein PC-Arbeitsplatz sein. Dort wird die Körperhaltung überprüft und ggf. korrigiert. Hinweise für Hilfsmittel oder für eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung werden gegeben.

Die Deutsche Rentenversicherung hält in einigen wenigen hochspezialisierten MBOR-Abteilungen zusätzlich sehr komplexe Musterarbeitsplätze vor. Diese umfassen z.B. das Modell eines Dachstuhls zur Arbeitserprobung für Dachdecker oder Modelle eines Autos, um so den Arbeitsplatz eines Mechatronikers zu simulieren.

Sozialmedizinische Begutachtung im MBOR-Team

Die sozialmedizinische Begutachtung ist eine der zentralen Aufgaben der Rehabilitation.

Geprüft werden:

  • ob die Erwerbsfähigkeit gefährdet ist,
  • ob der Verbleib im bisherigen Beruf noch möglich ist
  • oder ob eine andere (leichtere) Tätigkeit durchgeführt werden kann.

Auf der Basis dieser Begutachtung entscheidet die Deutsche Rentenversicherung, ob Fördermaßnahmen bewilligt werden, oder ob eine Erwerbsminderungsrente indiziert ist. 

Die Patient:innen - Begutachtung muss sehr fundiert sein, weil davon der gesamte weitere Lebensweg abhängen kann. Die Begutachtung muss nach klaren Kriterien erfolgen und nachvollziehbar begründet sein. Die Ergebnisse müssen überall in Deutschland gleich sein und so sichergestellt werden, dass kein:e Patient:in in Bezug auf Sozialleistungen Vor- oder Nachteile hat.

Patient:innen, die eine MBOR erhalten, durchlaufen Termine bei jeder der genannten Berufsgruppen. Dabei fasst jede Berufsgruppe ihre Ergebnisse zusammen. Es folgt eine gemeinsame MBOR-Sitzung, in der diese Ergebnisse besprochen werden und die finale sozialmedizinische Begutachtung erfolgt. So werden alle Aspekte berücksichtigt und auch der dreiwöchige Verlauf mit oder ohne Tendenzen der Besserung kommt zur Sprache.

Durch die Einführung der MBOR wurde die Begutachtung der Erwerbsfähigkeit von einer rein ärztlichen Aufgabe zu einer Aufgabe des gesamten MBOR-Teams aus hochspezialisierten sozialmedizinisch versierten Expert:innen. Dabei fließen die Ergebnisse der gesamten mehrwöchigen Rehabilitation in die Begutachtung mit ein.

Erfolg einer MBOR

In der täglichen Praxis und in großen wissenschaftlichen Studien zeigt sich, dass durch die Einführung der MBOR viel mehr Patient:innen im Erwerbsleben verbleiben als noch vor einigen Jahren. Die MBOR Erfahrungsberichte lassen also auf ein erfolgreiches Programm schließen.

Portrait von Dr. Martin Gehlen
Eine MBOR hilft den Patient:innen, weiter ein selbstbestimmtes und finanziell unabhängiges Leben zu führen und so Einschränkungen durch die Erkrankung besser zu bewältigen. Die MBOR ist somit eine der zentralen erfolgreichen Maßnahmen in der Rehabilitation.
Dr. Martin Gehlen

Häufige Fragen zur MBOR

Wie lange dauert eine MBOR?

Eine MBOR dauert genau so lange wie eine übliche Rehabilitation, bei einer orthopädischen oder rheumatologischen Rehabilitation somit 3 Wochen. Je nach Schwere der beruflichen Probleme ist es aber sehr viel leichter, eine Verlängerung zu gewähren.

Was bedeutet MBOR?

MBOR bedeutet Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation. In der MBOR werden unter anderem berufliche Probleme mit Auswirkung auf die Erkrankung bearbeitet.

Wer bekommt eine MBOR?

Patient:innen, bei denen durch die Erkrankung berufliche Probleme auftreten, erhalten eine MBOR. Dort wird geklärt, ob das Berufsbild bei der vorliegenden gesundheitlichen Situation noch leidensgerecht ist, oder ob Veränderungen erfolgen sollten.

Was ist berufsbezogene Diagnostik?

Bei der berufsbezogenen Diagnostik geht es um die Frage, welche Arbeit ein:e Patient:in noch durchführen kann. Ein Belastungs-EKG wird somit nicht durchgeführt um nach Durchblutungsstörungen (KHK) des Herzens zu suchen, sondern um zu prüfen, wie leistungsfähig das Herz ist. Eine Lungenfunktionstestung dient nicht in erster Linie der Einstellung auf ein neues Asthma-Spray, sondern der Frage, ob die Lungenfunktion noch so gut ist, dass eine bestimmte Arbeit noch möglich ist.

Wer beantragt MBOR?

Bei jeder Rehabilitation wird von der behandelnden Klinik immer geprüft, ob MBOR-Bedarf vorliegt oder nicht. Bei MBOR-Bedarf wird das beruflich orientierte Programm durchgeführt.

Was ist MBOR Diagnostik?

Zu Beginn der Rehabilitation wird durch ein Screening geprüft, ob MBOR-Bedarf vorliegt. Im Rahmen der MBOR wird eine berufsbezogene Diagnostik durchgeführt. Durch Muskeltests, wie die Handkraftmessung oder den Chair-Rising-Test, wird beispielsweise ermittelt, ob die muskulären Voraussetzungen für eine bestimmte Arbeit noch vorliegen. Beim Erstellen eines Röntgenbildes von der Wirbelsäule geht es nicht um die Frage einer Operation oder einer Spritzentherapie, sondern in erster Linie darum, ob bei den Veränderungen an der Wirbelsäule die Arbeit als Krankenpfleger:in oder Maurer:in noch möglich ist.

Quellen

Portrait von Dr. Martin Gehlen
Facharzt für Innere Medizin, Rheumatologie und allgemeine Innere Medizin

Chefarzt der Abteilung für Rheumatologie und Osteologie