Neurologische Reha

Zuletzt aktualisiert: 06.10.2024 | Lesedauer: ca. 12 Min.

Die neurologische Rehabilitation unterstützt Menschen mit Störungen des zentralen und peripheren Nervensystems in Form einer Anschlussheilbehandlung oder eines Heilverfahrens. Nachdem Patient:innen aufgrund akuter Beschwerden im Rahmen einer neurologischen Erkrankung meist zunächst stationär behandelt wurden, wird in der neurologischen Rehabilitation darauf hingearbeitet, neurologische Ausfälle oder Folgeschäden zu beheben oder zu lindern, Mobilität und Selbstständigkeit wieder herzustellen und die Lebensqualität der Patient:innen zu steigern.

Das wichtigste Ziel der neurologischen Rehabilitation ist, dass die Patient:innen wieder zur Teilhabe am öffentlichen und sozialen Leben befähigt werden und ihren Alltag - je nach persönlicher Situation - so selbstständig wie möglich meistern können.

Erfahren Sie im folgenden Artikel, wann eine stationäre neurologische Rehabilitation notwendig ist, was neurologische Frührehabilitation bedeutet, was die Ziele von Reha in der Neurologie sind und was während der Reha passiert.

Was Sie über die neurologische Reha wissen müssen

Wenn Patient:innen von heute auf morgen ihre ganz grundlegenden, alltäglichen Kompetenzen verlieren, wie etwa die Fähigkeit

  • sich fortzubewegen,
  • selbständig, sicher und ausreichend zu essen und zu trinken,
  • sich zu be- und entkleiden,
  • sich zu waschen und das WC zu nutzen,
  • zu sprechen oder Sprache zu verstehen,
  • oder sich im Raum zu orientieren,

dann ist das zumeist ein Schock für die Betroffenen und deren Angehörige. Lesen und Schreiben sowie das Bedienen von notwendigen Geräten, aber auch andere kognitive, psychomotorische sowie affektiv-emotionale Leistungen zählen ebenfalls zu den häufig betroffenen Kompetenzen. Nicht selten beinhalten verlorengegangene Fähigkeiten ernstzunehmende Gefahren in Form von Sturz-, Unfall- und Verletzungsrisiken.

Meist verbergen sich hinter akuten Funktionsausfällen neurologische Ursachen, also Krankheitsbilder, deren Vorgänge im Nervensystem ablaufen oder dieses beeinflussen. Dazu gehören unter anderem

Konnten in der Akutphase Patient:innen stabilisert werden, bleiben dieselben oft mit den oben genannten Beschwerden bzw. Folgeschäden zurück. Die neurologische Rehabilitation hilft, diese Probleme zu beheben, indem sie gezielt neurologische Diagnostik und multimodale Therapie nutzt, um das Nervensystem anzuregen und den Patient:innen die Rückkehr in ihren Alltag zu erleichtern.

Je eher eine Rehabilitation beginnt, desto besser sind die Chancen darauf, dass die Symptome langfristig abklingen. Daher ist die neurologische Frührehabilitation der Phase B so wichtig. Viele Angehörige wünschen sich eine neurologische Reha in der Nähe, damit sie ihre Angehörigen regelmäßig besuchen können.

Die Klassifizierung der Einschränkungen und die Bestimmung der Rehamaßnahmen nach ICF

Als Leitsystem für die neurologische Rehabilitation dient die ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health), also die international gültige Klassifizierung von Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Die ICF definiert vorliegende Beschwerden und Defizite, gibt aber auch die Möglichkeit, verbliebene Fähigkeiten der Patient:innen zu benennen. Sie beschreibt gewissermaßen den funktionellen Gesundheitszustand oder die Behinderung im Kontext mit der verbundenen sozialen Beeinträchtigung und relevanter Umgebungsfaktoren eines Menschen. Auf der Grundlage der ICF-Kriterien, die durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) formuliert und festgelegt wurden, können im Rahmen einer neurologischen Reha konkrete Maßnahmen zur Anwendung kommen, um festgelegte Ziele zu erreichen.

Eine ältere Dame wird durch eine Mitarbeiterin einer Rehaklinik bei dem Ausfüllen eines Sudokus unterstützt.

Anspruch auf eine neurologische Rehabilitation und Formen der Reha

Der rechtliche Anspruch ergibt sich aus den Sozialgesetzbüchern. Im Allgemeinen gilt, dass jeder Mensch Anspruch auf eine neurologische Reha hat, dessen Krankheit das Nervensystem nachhaltig geschädigt hat und bei dem die Phase der Regeneration über einen längeren Zeitraum verlaufen wird.

Das Phasenkonzept der Neuro-Reha

In einem Reha-Zentrum, einer Reha-Klinik und anderen Formen der neurologischen Rehabilitation existiert ein Phasenkonzept, das die neurologische Rehabilitation in verschiedene Behandlungsphasen untergliedert. Die Phase, in die Patient:innen eingeordnet werden, richtet sich vorrangig nach Kriterien der Mobilität und der Selbstversorgungsfähigkeiten der Rehabilitand:innen und wird mittels Assessments (Bewertungsindizes) erhoben.

Der Ablauf einer neurologischen Rehabilitation verläuft nicht starr von Phase A bis Phase G. Nach der Erstversorgung in Phase A (in der Regel in einer Akutklinik) teilen die Spezialisten der Klinik die Patient:innen in eine der Phasen B bis G ein. Häufig ist nach der Akutbehandlung noch eine intensivierte Pflege und Therapie (Phase B) notwendig.

  • Phase A: Akutbehandlung der Erkrankung in der Klinik
  • Phase B: Frührehabilitation mit intensivmedizinischer Betreuung: die Patient:innen sind in der Regel bettlägerig, respektive nicht selbstständig mobil
  • Phase C: Weiterführende Rehabilitation: Die Patient:innen sind teilmobilisiert und sind fähig und gewillt dazu, an verschiedenen Therapieeinheiten teilzunehmen
  • Phase D: Anschlussheilbehandlung/Heilverfahren: Die Patient:innen erledigen grundlegende Aufgaben des Alltags (waschen, essen, anziehen etc.) bereits selbstständig und können den Alltag größtenteils allein bewältigen
  • Phase E: Nachsorge und berufliche Rehabilitation: Die Patient:innen können wieder zu Hause wohnen und ggf. in ihren Beruf zurückzukehren. Hier geht es darum, den Erfolg der Behandlung zu stabilisieren.
  • Phase F: Aktivierende Langzeitpflege für Patient:innen mit verbliebenen Fähigkeitsstörungen und unverändert hoher Pflegebedürftigkeit
  • Phase G: Ggf. betreutes und/oder begleitendes Wohnen

Da eine neurologische Reha sich über viele Wochen ausdehnen kann, entscheiden sich Betroffene häufig für eine neurologische Reha in der Nähe ihres Wohnortes, damit regelmäßige Besuche möglich sind.

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Die neurologische Frührehabilitation

Die neurologische Frührehabilitation, auch als Phase B der neurologischen Rehabilitation bezeichnet, ist eine spezialisierte Form der Behandlung für Patient:innen mit schweren oder schwersten neurologischen Erkrankungen oder Verletzungen.

Sie findet in der Regel unmittelbar nach der Akutbehandlung in einer Akutklinik statt und umfasst eine intensive medizinische Betreuung sowie eine Vielzahl von Therapiemaßnahmen. Das Hauptziel der neurologischen Frührehabilitation ist es, die betroffenen Patient:innen medizinisch zu stabilisieren, ihre vitalen Funktionen zu verbessern und sie schrittweise auf die weiteren Phasen der Rehabilitation vorzubereiten. Dabei steht die Wiederherstellung der Selbstständigkeit und Mobilität sowie die Verbesserung der Lebensqualität im Vordergrund.

Indikationen einer neurologischen Rehabilitation

Das Krankheitsbild und der Zustand von Patient:innen entscheidet über die Ziele der Rehabilitation und die möglichen vielfältigen Reha-Maßnahmen.

Typische Erkrankungen, die eine neurologische Rehabilitation indizieren, sind Durchblutungsstörungen des Gehirns  (Schlaganfälle und Hirnblutungen), Verletzungen, Entzündungen und Tumoren des Gehirns, neurologische Autoimmunerkrankungen, Muskelerkrankungen, Polyneuropathien, degenerative Syndrome (Demenzen, Parkinson-Syndrome) bis hin zu stoffwechselbedingten Störungen des Gehirns und Nervensystems.

Dazu gehören beispielsweise folgende Diagnosen oder Syndrome::

Zahlreiche Funktionsstörungen, die bei Erkrankungen des zentralen Nervensystems auftreten, können in der neurologischen Rehabilitation gezielt behandelt werden. Zum Beispiel:

  • Paresen (Lähmungen), Spastizität
  • Dyskinesien (Bewegungsstörungen)
  • Stand- und Gangataxien, Gleichgewichtsstörungen, Koordinationsstörungen
  • Sensibilitätsstörungen
  • Aphasien (Sprachstörungen), Dysarthrie (Störung der Sprechmotorik)
  • Schluckstörungen
  • Gesichtsfeldeinschränkungen, Raumwahrnehmungsstörungen
  • Hirnleistungsstörungen, Orientierungs- und Gedächtnisstörungen
  • depressive Reaktionen , Anpassungsstörungen

Ob ein oder mehrere funktionelle Defizite zur Indikation einer neurologischen Rehabilitation  führen und ob dies stationär oder ambulant durchgeführt werden sollte, wird im Einzelfall entschieden.

Leistungsspektrum einer neurologischen Reha

Innerhalb der Reha-Klinik nutzen Expert:innen neben neurologischer Diagnostik und medizinischer Behandlung ergänzende Therapiefelder wie die

  • Ergotherapie,
  • Physiotherapie,
  • Logopädie,
  • Musiktherapie,
  • Neuropsychologie oder
  • Sport- und medizinische Trainingstherapie.

Je nach therapeutischem Schwerpunkt nutzen die Reha-Profis unterschiedliche Therapiekonzepte wie beispielsweise das Bobath-Konzept, die Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation (PNF) oder die kognitiv-therapeutischen Übungen nach Perfetti.

Darüber hinaus gibt es apparative und gerätegestützte Verfahren wie zum Beipsiel

  • Elektrostimulation,
  • elektrische Neurostimulation (TENS),
  • Biofeedback,
  • Arm-BASIS-Training,
  • Taub'sches Training,
  • Laufbandtherapie und Gangtrainer/Gangroboter,
  • Faciooraltrakt-Therapie (F.O.T.T.) nach Kay Coombes und
  • Wahrnehmungstherapie nach Affolter 

Die Ziele der neurologischen Reha

Das Ziel ist es, Betroffene zu befähigen, so weit wie möglich die durch die Krankheit erlittenen Einschränkungen und Störungen rückgängig zu machen und die Mobilität, Selbstständigkeit und Teilhabe der Patient:innen wieder herzustellen.

Zu den Therapiezielen gehören:

  • passive und aktive Mobilisierung, Verbesserung der posturalen Kontrolle (Körperhaltung), Stand- und Gangsicherheit, Treppensteigen, Reduktion der Sturzgefahr
  • Verbesserung der Sensorik, Rückbildung von Sensibilitätsstörungen und Missempfindungen
  • Schmerzreduktion
  • Verbesserung der Fein- und Grobmotorik,
  • Verbesserung der Koordination
  • Förderung der Raumwahrnehmung und Raumexploration
  • Verbesserung der Schreib- und Lesefähigkeit
  • Wiederherstellung der Artikulation (Verständlichkeit) und Sprache (Sprachbildung- und Sprachverständnis)
  • Wiederherstellung der Schluckfähigkeit
  • Verbesserung der Stimmungslage, Förderung der Krankheitsverarbeitung
  • Normalisierung der Tagesrhythmik und des Schlafes
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Motorik, Kommunikationsfähigkeit, Schluckfähigkeit und Wahrnehmung machen die Kernthemen einer neurologischen Rehabilitation aus.

Die neurologische Rehabilitation – Chance für Betroffene und Angehörige

Neurologische Erkrankungen können jeden Menschen treffen – unabhängig von Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen, etc. Ob eine neurologische Rehabilitation notwendig ist, entscheidet sich jedoch im Einzelfall. Wenn Ihre Ärzt:in Ihnen oder einem Ihrer Angehörigen eine neurologische Rehabilitation nahelegt, sollten Sie diese Chance wahrnehmen, um den Erfolg einer Akutbehandlung langfristig zu verbessern. Darüber hinaus kann ein neurologisches Heilverfahren auch im Falle chronischer Erkrankungen zu funktionellen Verbesserungen führen, die Ihre Mobilität, Selbstständigkeit, Lebensqualität und Teilhabe maßgeblich steigern.

Neuro-Reha bei Kindern

Sollte Ihr unter 12 Jahre altes Kind betroffen sein, haben Sie die Möglichkeit, für die Zeitdauer der Rehabilitation Krankengeld zu erhalten und sich so voll und ganz auf die Genesung Ihres Kindes zu konzentrieren. Sind Sie selbst betroffen, erhalten Sie natürlich Krankengeld für die Phase der Rehabilitation.

Fazit

Nutzen Sie die Chance für sich, Ihr Kind oder Ihre Angehörigen, neurologische Ausfälle zu kompensieren und das Risiko von bleibenden Schäden oder relevanten Einschränkungen im Alltag zu reduzieren.

Die neurologische Rehabilitation berücksichtigt viele Bereiche menschlichen Verhaltens und Erlebens und stellt den Patient:innen durch das Phasenkonzept verschiedene individuelle Maßnahmen zur Verfügung. Sie hat dabei stets das Ziel, den Patient:innen die Teilhabe am persönlichen, sozialen und öffentlichen Alltag wieder zu ermöglichen.

Häufige Fragen zur Neurologischen Reha

Was wird in der neurologischen Reha gemacht?

In der neurologischen Rehabilitation werden gezielt Therapiemaßnahmen eingesetzt, um neurologische Funktionsstörungen zu behandeln und die Selbstständigkeit, Mobilität und Lebensqualität der Patient:innen zu verbessern.

Welches ist die beste Rehaklinik für Neurologie?

Die beste Rehaklinik für Neurologie hängt von den individuellen Bedürfnissen, der Art der neurologischen Erkrankung und den verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten ab. Es ist ratsam, sich vorab über verschiedene Kliniken zu informieren und gegebenenfalls Empfehlungen von Ärzten einzuholen.

Wie lange dauert eine stationäre neurologische Reha?

Die Dauer einer stationären neurologischen Rehabilitation kann je nach Krankheitsbild, Therapiefortschritt und individuellen Bedürfnissen variieren. In der Regel dauert sie mehrere Wochen bis wenige Monate.

Welche Phasen der neurologischen Reha gibt es?

Die Phasen der neurologischen Rehabilitation umfassen in der Regel die Akutbehandlung (Phase A), die Frührehabilitation (Phase B), die weiterführende Rehabilitation (Phase C), die Anschlussheilbehandlung (Phase D), die Nachsorge und berufliche Rehabilitation (Phase E) sowie bei Bedarf weitere Phasen wie aktivierende Langzeitpflege (Phase F) oder betreutes Wohnen (Phase G).

Wann bekommt man eine neurologische Reha?

Eine neurologische Rehabilitation wird in der Regel nach einer akuten Krankenhausbehandlung bei neurologischen Erkrankungen oder nach einer schweren Verletzung des Nervensystems durchgeführt. Die behandelnden Ärzt:innen entscheiden, ob eine neurologische Rehabilitation notwendig ist.

Wie lange dauert die Reha Phase D?

Die Phase D der neurologischen Rehabilitation dauert in der Regel solange, bis Patient:innen grundlegende Aufgaben des Alltags wie Körperpflege, Essen und Anziehen weitgehend selbstständig bewältigen können und die Rückkehr in den Alltag vorbereitet ist.

Welche Voraussetzungen müssen für Reha Phase B erfüllt sein?

Für die Aufnahme in die Phase B der neurologischen Rehabilitation müssen Patient:innen außer Lebensgefahr sein, sind in der Regel bettlägerig und benötigen intensivmedizinische Betreuung. Die genauen Voraussetzungen können je nach Klinik und individuellem Krankheitsbild variieren.

Quellen

  • Bertram, M., Brandt, T., Menzel, R. (2016). Neurologische Rehabilitation. In: W. Hacke (Hrsg.) Neurologie. (14. Aufl., S.971–996). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-46892-0_41 
  • Fertl, E. (2006). Grundlagen der Neurologischen Rehabilitation. In: J. Lehrner, G. Pusswald, E. Fertl, I. Kryspin-Exner, W. Strubreither (Hrsg.), Klinische Neuropsychologie. (S. 529–541). Springer. https://doi.org/10.1007/3-211-32303-1_40 
  • Nunnemann, S. (2021). Aufgaben und Ziele der neurologischen Frührehabilitation. Der Neurologe & Psychiater,  22(4), 35–42. https://doi.org/10.1007/s15202-021-4706-6
Portrait von Dr. Markus Schlomm.
Facharzt für Neurologie

Chefarzt der Klinik für Neurologie