Interview mit Dr. Peter Trunzer, Chefarzt an der MEDICLIN Kraichgau Klinik, zum Post-Covid-Fatigue Syndrom.
Etwa zehn Prozent der Menschen, die an Covid erkrankt sind, entwickeln das sogenannte Post-Covid-Syndrom, auch Long-Covid genannt. Langzeitfolgen einer Covid-Erkrankung sind vielfältig und noch immer mit vielen offenen Fragen verbunden. Dabei beschränken die Symptome sich nicht nur auf die Lunge, also das Organ, das bei einer Infektion mit dem Covid-19-Virus am stärksten betroffen ist, sondern können auch das Nervensystem und das Herz-Kreislaufsystem betreffen. Ein häufiges Merkmal ist eine anhaltende, lähmende Erschöpfung nach überstandener Erkrankung. Mediziner nennen dieses Phänomen „Fatigue-Syndrom“.
Diese bleierne Entkräftung, die nichts mit einer normalen Müdigkeit zu tun hat, kommt auch bei anderen Erkrankungen vor. Dr. Peter Trunzer, Chefarzt an der MEDICLIN Kraichgau Klinik , ist dieses Symptom im Klinikalltag schon immer begegnet. In seiner Klinik suchen Menschen Hilfe, die, beispielsweise nach einer Tumorerkrankung, auch Monate später nicht in ihren geregelten Alltag zurückkehren können. Nun behandelt Trunzer in der Bad Rappenauer Reha-Klinik immer öfter Menschen, bei denen diese maßlose Erschöpfung nach einer Covid-19-Erkrankung auftritt.
Fatigue – eine der verschiedenen Folgeerkrankungen nach Covid-19 - zu diagnostizieren ist eine Herausforderung. Man kann aber mit Sicherheit sagen, dass es sich beim Fatigue-Syndrom nicht um eine psychische Erkrankung handelt. Häufig hätten Betroffene bis zur Diagnose eine wahre Odyssee hinter sich. Manchmal würden sie schlicht nicht ernst genommen. Das beobachten Dr. Trunzer und seine Kolleg:innen nun auch bei Menschen mit Post-Covid-Fatigue. Die Forschung sucht noch nach den Auslösern des Fatigue-Syndroms. Ursachen werden im Energiestoffwechsel der Zellen vermutet, in den Mitochondrien oder den Immunzellen.
Das Post-Covid-Syndrom lässt sich fast nie nur einem einzigen Fachbereich zuordnen. Betroffene können gleichzeitig neurologische, pneumologische, kognitive und psychische Beschwerden zeigen. Um Betroffene mit so einem komplexen Krankheitsbild optimal zu behandeln, hat das Gesundheitsunternehmen MEDICLIN ein bisher einzigartiges, häuserübergreifendes Konzept entwickelt. Expert:innen verschiedenster Fachrichtungen aus Fachkliniken der MEDICLIN im ganzen Bundesgebiet tauschen sich virtuell aus. So können Diagnosen schneller gefunden und Therapiepläne individuell erstellt werden. Telemedizinisch kann aus anderen Häusern sogar mitbehandelt werden.
„Im Idealfall löst dieser intensive Austausch mit Kolleg:innen aus anderen Fachbereichen wie der Pneumologie, Kardiologie, Neurologie, Psychosomatik und Psychotherapie – den großen Aha-Effekt aus und bringt den entscheidenden Tipp. Keine Fachklinik kann alle Themen und Aspekte dieses komplexen, neuen Krankheitsbildes abdecken. Es ist einfach nicht möglich. Deswegen ist der Austausch, den wir hier aufbauen konnten, so wichtig und wertvoll.“, so Dr. Peter Trunzer, Chefarzt an der MEDICLIN Kraichgau Klinik.
Wenn es um die konkrete Behandlung der Post-Covid-Fatigue geht, kann Dr. Peter Trunzer auf jahrelange Erfahrung mit dem chronischen Fatigue-Syndrom zurückgreifen. So verschafft sich Trunzer anhand eines Fatigue-Scores, dem ein Fragenkatalog zugrunde liegt, und einem sechsminütigen Gehtest einen ersten Eindruck. Auf dieser Basis wird zunächst eine Einteilung in drei Leistungsgruppen vorgenommen.
Bewegung und Motivation seien wichtig für die Betroffenen. „Aber um Himmels Willen nicht zu großen Druck aufbauen und zu ehrgeizig sein“, warnt Trunzer. „In der Regel wird Erkrankten ein Aufenthalt von drei Wochen genehmigt. Drei Wochen, das ist nicht viel Zeit, gerade für so eine komplexe Erkrankung wie das Post-Covid-Syndrom. Da darf man nicht auf Teufel komm raus alles herauskitzeln wollen. Zu viel Training kann das Gegenteil bewirken, kann sogar einen Rückschritt auslösen.“
In der Kraichgau Klinik werden Menschen mit Fatigue ganzheitlich behandelt. Dazu gehört auch die Ernährung. Im Oktober wird eine neue Diätassistentin die Patientin hierbei zusätzlich unterstützen. Auch mit der Lichttherapie hat Trunzer gute Erfahrungen gemacht. Diese regt über die Augen die Funktion der Zirbeldrüse an. Zunächst sei es aber auch wichtig, dass Patient:innen einfach zur Ruhe kommen, sich erholen, sich mit anderen Betroffenen austauschen können.
Patient:innen, deren Fatigue durch Post-Covid ausgelöst wurde, werden in der Kraichgau Klinik nicht in gesonderten Gruppen behandelt. Sie werden entsprechend ihrer Symptome zugeteilt. So machen beispielsweise alle mit kognitiven Problemen das Gedächtnistraining, unabhängig von der Ursache der Einschränkung. Kognitive Ausfälle und schwere Konzentrationsstörungen beobachtet Trunzer übrigens häufig bei dem Post-Covid-Syndrom. Diese können bei Betroffenen, die im Verlauf ihrer Erkrankung intensivpflichtig wurden, auch durch die künstliche Beatmung ausgelöst worden sein.
Über Dauer und Erfolg einer Behandlung der Post-Covid-Fatigue mag Trunzer keine konkreten Prognosen wagen. „Meine Erfahrung bei Fatigue ist die“, erklärt er, „es gibt eine enorme Bandbreite: Manche Menschen erholen sich innerhalb von Wochen vollständig. Andere kämpfen sich da monatelang heraus. Manche müssen aber auch feststellen, dass es nie wieder genauso wird, wie es vorher einmal war. So etwas ist natürlich schwer zu akzeptieren. Aber davon gehen wir natürlich nie aus. Mit vereinten Kräften tun wir in der Reha alles, um den Menschen wieder ganz zurück ins Leben zu begleiten.“