Fünf Fragen an Dr. Jens Deerberg-Wittram 22.05.2025

Portrait von Gina-Sophie Labahn.
Gina-Sophie Labahn (Autor:in)
M.Sc. Public Health and Administration

Wissenschaftliche Mitarbeiterin
DAS REHAPORTAL

Zuletzt aktualisiert: 26.05.2025 | Lesedauer: ca. 5 Min.
Portrait von Dr. Jens Deerberg-Wittram mit dem Schriftzug "Fünf Fragen an ... Jens Deerberg-Wittram"

 

Dr. Jens Deerberg-Wittram

Dr. Jens Deerberg-Wittram ist Senior Fellow am Center for Patient-Centered Outcomes Research (CPCOR) der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Zuvor war er unter anderem als Arzt, Geschäftsführer und medizinischer Direktor privater und öffentlicher Klinikverbünde tätig. Weitere Stationen seiner Laufbahn waren die Tätigkeit als Fakultätsmitglied der Harvard Business School, die Funktion als Gründungspräsident des International Consortium for Health Outcomes Measurement (ICHOM) und die Position als Executive Director bei der Boston Consulting Group.

 

Was ist für Sie das zentrale Element von Value-based Healthcare – und warum braucht es diesen Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen?

Dr. Jens Deerberg-Wittram:  VBHC ist ein umfassendes Framework zur Neuausrichtung des Gesundheitswesens. Es gibt sechs zentrale Elemente, die miteinander verbunden sind uns die sich gegenseitig verstärken. Dazu gehören:

  • 1. Die Organisation der Versorgung um bestimmte Krankheitsbilder herum in sogenannten multidisziplinären Integrated Practice Units.
  • 2. Die Messung von Gesundheitsergebnissen und Kosten entlang der gesamten Versorgungskette für jeden Patient:in.
  • 3. Die Bildung regionaler und integrierter Versorgungsnetzwerke.
  • 4. Die geographische Verbreitung überlegener Versorgungsmodelle.
  • 5. Die Vergütung nach Ergebnisqualität und Kosten statt nach Fallzahl und Größe des Eingriffs und
  • 6. Eine übergreifende IT-Plattform, die die Punkte 1.-5. unterstützt.

Eine Ausrichtung an den oben genannten 6 Punkten, die wir als die „Value Agenda“ bezeichnen, führt zu einem Wettbewerb um den größten Patientennutzen, also um die besten medizinischen Ergebnisse zu den niedrigsten möglichen Kosten. Diesen positiven Wettbewerb brauchen wir, um den ausufernden Fallzahlen, Eingriffen, Untersuchungen und Ambulanzbesuchen entgegenzuwirken. Falls wir so weiter machen wie bisher, werden immer weniger Menschen in diesem Hamsterrad arbeiten wollen, und die Kosten gehen weiter durch die Decke. Am Ende steht dann eine teure und qualitativ mittelmäßige Versorgung, die sich nur noch wenige leisten können.

Viele Einrichtungen tun sich schwer, PROMs in den Versorgungsalltag zu integrieren. Warum lohnt sich dieser Schritt dennoch – und was braucht es, damit PROMs langfristig auch zur aktiven Versorgungssteuerung beitragen können?

Dr. Jens Deerberg-Wittram:  Die kontinuierliche Messung von PROMs ist zentral, um Daten zu erhalten, die uns sagen, ob es unseren Patient:innen wirklich besser geht. Eigentlich sollte die Erhebung solcher Daten selbstverständlich sein – vor allem vor dem Hintergrund, dass wir an anderer Stelle, z.B. bei Labordiagnostik oder Bildgebung unheimlich viel Geld für klinisch wirklich unnötige Untersuchungen ausgeben. Und der Aufwand für die PROMs Erhebung wird dank guter Softwarelösungen und dank der technisch aufgeschlossenen Patient:innen immer einfacher.

Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich, wenn es um Value-based Healthcare geht? Sehen Sie konkrete Fortschritte – und wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Entwicklungspotenziale?

Dr. Jens Deerberg-Wittram: Es bewegt sich langsam, aber es bewegt sich… Erfreulich sind manche Impulse der Krankenhausreform der letzten Bundesregierung, die ja die Behandlung in spezialisierten und zertifizierten Einrichtungen vor allen bei komplizierten Krankheitsbildern durch die Leistungsgruppen befördert. Im Bereich der Onkologie werden schon viele Patient:innen in Deutschland in Integrated Practice Units versorgt. Wir haben in manchen Bereichen eine PROMs-Messung etabliert, wie z.B. in den DKG zertifizierten Prostatakrebszentren. Und es wurden einige Qualitätsverträge in den letzten Jahren abgeschlossen, die Qualität und die korrekte Indikationsstellung vergüten und nicht die Masse der Eingriffe. Das ist alles sicherlich noch keine Revolution, aber die sehen wir – ehrlich gesagt – in keinem Gesundheitswesen. Dafür ist die Veränderungsbereitschaft in einem System, in dem gerade die Entscheider von den aktuellen Strukturen erheblich profitieren, zu gering.

Gibt es ein Land oder Projekt, das für Sie als Vorbild einer gelungenen VBHC-Implementierung gilt – und was macht es besonders?

Dr. Jens Deerberg-Wittram: Ich finde, dass unsere Niederländischen Nachbarn mit dem Prinzip des selektiven Kontrahierens der Krankenversicherungen vieles richtig machen. Keine Kasse macht Verträge mit Kliniken, die keine gute Qualität erzeugen. So steigt das Interesse an Qualitätsdaten und auch an tatsächlicher Verbesserung. In den Niederlanden werden auch viel weniger Patient:innen in Krankenhaus behandelt, die in anderen Sektoren wie z.B. in kompetenten Pflegeheimen viel besser versorgt wären. Durch die unsinnigen Pflegepersonaluntergrenzen und das fatale Pflegebudget haben wir unsere Pflegeheime personell ausgeblutet und aus unseren Krankenhäusern schlechte und teure Pflegheime gemacht. Und Dänemark wird zu Recht immer wieder für seine konsequente Neustrukturierung der Krankenhauslandschaft gelobt. In den Daten sehen wir, dass sich die dafür notwendigen Investitionen gelohnt haben. Die Kosten des Systems sinken und die Qualität wird besser.

Was würden Sie jungen Führungskräften oder Gesundheitsökonom:innen mit auf den Weg geben, die sich für ein wertorientiertes Gesundheitssystem engagieren möchten?

Dr. Jens Deerberg-Wittram: Sie sollten sich mit dem Konzept beschäftigen, über das es ausreichend Literatur und auch tatsächlich nutzbare Anwendungsbeispiele gibt. Sie sollten frühzeitig ihr ganzes Team begeistern und pragmatisch mit Piloten zur Ergebnismessung und Reorganisation der Versorgungsstrukturen in der Klinik loslegen. Bloß nicht auf die Politik oder gar neue Vergütungsregeln warten und dabei frustriert werden. Wir wollten die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Jetzt müssen wir es auch selber machen.

DAS REHAPORTAL führt PROMs-Studien in verschiedenen Fachbereichen durch. Bisher wurden rund 30.000 Patient:innen zu ihrem Behandlungserfolg befragt.

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