Wissenschaftliche Mitarbeiterin
DAS REHAPORTAL
Dr. Viktoria Steinbeck ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Management im Gesundheitswesen der Technischen Universität Berlin und forscht besonders zu den Themen Value-Based Healthcare (VBHC) und Patient-Reported Outcome Measures (PROMs). Sie ist Co-Gründerin des ersten deutschsprachigen VBHC Seminars. 2024/2025 forschte sie als Harkness Fellow des Commonwealth Funds für ein Jahr in den USA an der Harvard Medical School und Brown School of Public Health zur Integration der Perspektive von Patientinnen und Patienten in die Messung von Low-value care sowie Geschlechterunterschieden in der Prävalenz von Burnout von Hausärzt:innen. Zuvor arbeitete sie für diverse Akteure im Gesundheitswesen, unter anderem für die Europäische Kommission, die Allianz und das Deutsche Netzwerk für Versorgungsforschung. Dr. Steinbeck promovierte an der TU Berlin zur Integration von PROMs in das Gesundheitssystem.
Dr. Viktoria Steinbeck: VBHC wird international als auch individuell unterschiedlich verstanden. Wobei mehrere Grundprinzipien VBHC ausmachen (Value Agenda), werden sich teilweise einzelne rausgepickt. In den USA, wo das Konzept ursprünglich von Elisabeth Teisberg und Michael Porter geprägt wurde, finden sich verschiedene Wege, VBHC umzusetzen wie eine Integration der Gesundheitsleistungen entlang des Behandlungspfads (Integrated Practice Units). Allem voran steht dort häufig allerdings eine angepasste Finanzierung von einem Fee For Service Model, welches Anreize für Volumen schafft, zu einem Value-Based Payment Model, welches Anreize für Patient-Value schaffen soll. In europäischen Ländern haben wir seltener eine reine Vergütung über Fee-For-Service, dadurch wird in meiner Wahrnehmung häufiger eine patient:innenzentrierte Qualitätmessung durch Patient-Reported Outcome Measures (PROMs) in den Fokus gerückt und Finanzierungsmodelle eher schrittweise angepasst. Gleichzeitig gibt es sowohl in den USA große PROM-Einführungen als auch im europäischen Raum Value-Based Payment-Ansätze z.B. bei Diabeter in den Niederlanden. Der Schlüssel liegt darin, mehrere Komponenten der Value Agenda zu vereinen, aber auch erste Schritte können einen Unterschied Richtung Value machen.
Dr. Viktoria Steinbeck: Internationale Erfahrungen zeigen, dass VBHC in der Praxis funktionieren kann, wenn Ergebnisse systematisch gemessen und zur Steuerung genutzt werden sowie konsequent die Versorgung nicht entlang medizinischer Professionen organisiert wird (Silos) sondern entlang der Bedürfnisse von klar definierten Patient:innengruppen. In den Niederlanden hat etwa das Santeon-Netzwerk, ein Zusammenschluss mehrerer Krankenhäuser, VBHC implementiert: Durch kontinuierliche Ergebnisvergleiche zwischen Kliniken und darauf basierende Lernzyklen konnten Qualität und Patientenzufriedenheit messbar verbessert werden. Ähnliche Effekte zeigen die integrierten Versorgungsmodelle von Kaiser Permanente in den USA, wo Krankenversicherung, ambulante und stationäre Versorgung kombiniert werden, so ein besonderer Fokus auf Prävention gelegt werden kann und interdisziplinäre Teams Patient:innen an Gesundheitszielen arbeiten. VBHC kann also funktionieren, aber undurchdacht kann es auch Risiken bürgen. In den USA ist gerade z.B. zu beobachten, dass Private Equity Firmen Bezahlungsmodelle, die den Titel VBHC tragen, ausnutzen, um Geld aus dem Gesundheitssystem zu schleusen und dabei die Qualität zu reduzieren. Das ist natürlich eigentlich kein VBHC, aber dennoch zeigt es, dass es essentiell ist, wirkliche Ergebnismessung in VBHC-Modellen zu integrieren, um Fehlanreize zu vermeiden.
Dr. Viktoria Steinbeck: VBHC rückt Patient:innen ins Zentrum der Versorgung, indem ihre Perspektive – also das, was ihnen im Behandlungsergebnis wichtig ist – systematisch erfasst und genutzt wird. PROMs erfassen physische, mentale und soziale Gesundheit sowie krankheitsspezifische Symptome, während Patient-Reported Experience Measures (PREMs) Einblicke in Versorgungserfahrungen und Kommunikation geben. Diese Informationen ermöglichen es, Entscheidungen gemeinsam zu treffen und Behandlungsqualität datenbasiert zu verbessern. Vergleichende PROM-Auswertungen helfen verschiedenen Gesundheitsprofessionen, ihre Ergebnisse zu reflektieren und gezielt zu optimieren. In einigen Bereichen, etwa der Onkologie, zeigen PROM-Alert-Systeme, dass frühzeitige Reaktionen auf PROM-Verschlechterungen sogar die Lebenszeit von Patient:innen verlängern können. Auf Systemebene machen solche Daten Versorgungsqualität patientenrelevant messbar. VBHC stärkt damit nicht nur die Mitbestimmung einzelner Patient:innen, sondern auch eine Kultur, in der ihre Stimme zum zentralen Maßstab für Qualität wird.
Dr. Viktoria Steinbeck: VBHC kann wesentlich zu einer nachhaltigeren Gesundheitsversorgung beitragen, weil es Ressourcen auf das ausrichtet, was für Patient:innen tatsächlich Mehrwert bringt. Dazu gehört auch die Reduktion von Low-Value Care, Leistungen, die keinen Mehrwert für Patient:innen bringen und teilweise sogar schädlich sind. Indem Qualität über Behandlungsergebnisse definiert wird, wird angestrebt, ineffektive oder doppelte Leistungen zu reduzieren. Das führt idealerweise zu einer gezielteren Nutzung von Personal, Zeit und finanziellen Mitteln. Gleichzeitig fördern Daten zur Ergebnisqualität ein lernendes Gesundheitssystem, in dem kontinuierlich geprüft wird, welche Interventionen den größten Mehrwert bieten. Weniger Überversorgung und vermeidbare Komplikationen bedeuten zudem weniger Material- und Energieverbrauch. Zudem wünschen sich Personen in Gesundheitsprofessionen patient:innenzentriert zu arbeiten. VBHC kann somit auch Personen in Gesundheitsberufen halten, indem sie sich ihrem Berufs-Purpose folgen können. Nachhaltigkeit entsteht so durch effiziente Ressourcennutzung, durch patientenorientierte Versorgung und durch die Vermeidung unnötiger Leistungen.
Dr. Viktoria Steinbeck: Politisch fördern Reformen zur Qualitätsmessung, sektorübergreifenden und sektorenunabhängigen Versorgung (Z.B. Hybrid DRGs), qualitätsbasierten Vergütung (z.B. Qualitätsverträge oder anwendungsgeleitende Erfolgsmessung (AbEM) der DIGAs) und der digitalen Infrastruktur (z.B. ePA) die Voraussetzungen für ergebnisorientierte Modelle. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass einige Politiker:innen mehr Wert auf Quantität von Krankenhäusern anstatt Qualität legen, was VBHC-nahe Reformvorschläge stark ausgebremst hat und dies voraussichtlich in Deutschland auch weiter tun wird. Technologisch treiben digitale Datenerfassung durch neu in den Markt tretende Anbieter, interoperable Systeme und KI-basierte Analysen die systematische Nutzung von PROMs/PREMs sowie präzisere Risikoadjustierungen voran, was VBHC-Ansätze methodisch stärkt. Gesellschaftlich steigen Erwartungen an Transparenz, Partizipation und patientenzentrierte Versorgung. Gleichzeitig führen demografischer Wandel, zunehmende chronische Erkrankungen und Fachkräftemangel zu einem höheren Bedarf an effizienten, ergebnisorientierten Versorgungsmodellen. Zusammengenommen werden diese Entwicklungen VBHC dort beschleunigen, wo der politische Wille sich an Qualität zu orientieren, technologische Leistungsfähigkeit und gesellschaftliche Akzeptanz ineinandergreifen.